Urlaub verjährt nicht so schnell – oder doch?
EuGH zu Urlaubsansprüchen
Der Urlaub ist Beschäftigten heilig und auch Arbeitgeber möchten natürlich wissen, wie viel Urlaub ihre Angestellten haben – und wann er verfällt. Es kommt durchaus vor, dass man noch Urlaub mit in das nächste Kalenderjahr nimmt. Aber ab wann kann der Anspruch auf Urlaub verjähren? Zu dieser Frage hat der EuGH nun sein Urteil gefällt. (EuGH, Urt. v. 22.09.2022, Rechtssache C-120/21)
In der Regel sollte ein Jahresurlaub im aktuellen Jahr genommen werden. Falls dies nicht geschieht, muss der Arbeitgeber über das mögliche Verfallen des Urlaubsanspruchs nach Auffassung des Europäischen Gerichtshof, ausdrücklich informieren. Erst dann könne eine Verjährungsfrist für den Urlaubsanspruch beginnen.
Zur Info: Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt in Deutschland laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch drei Jahre.
Was passiert mit nicht genommenem Urlaub?
Hintergrund ist ein Fall aus Deutschland, in dem eine Steuerfachangestellte mit ihrem Arbeitgeber um die Frage stritt, ab wann die Verjährungsfrist von drei Jahren denn zu laufen beginne.
Sie nahm ihren gesetzlichen Mindesturlaub nicht völlig in Anspruch, mit der Begründung von einem immensen Arbeitspensums in der Kanzlei. Der Arbeitgeber wies sie nicht darauf hin, dass der nicht genutzte Urlaub verfallen könnte. Später forderte die Angestellte deshalb eine Abgeltung der Urlaubstage. Der Arbeitgeber verweigerte dies jedoch und erklärte, dass die Tage verfallen seien.
Die Steuerfachangestellte klagte dagegen und bekam vom Arbeitsgericht Solingen und in der Berufung vom Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf zunächst Recht.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) legte den Fall dann dem EuGH vor.
Und was meint der EuGH zu Urlaubsansprüchen?
Der EuGH beschäftigte sich bereits in diversen Entscheidungen mit dem Thema Verjährung und dem Ausschluss von Urlaubsansprüchen. Eine eindeutige Antwort, ob das deutsche Verjährungsrecht angewendet werden kann, fand das BAG bisher allerdings nicht.
Eine Vorahnung, wie der EuGH entscheiden würde ging bereits aus dem Plädoyer des Generalanwalts, Jean Richard de la Tour, hervor: Die Verjährungsfrist könne nicht ohne vorigen Hinweis des Arbeitgebers zu laufen beginnen und die Verjährungsfristen würden tatsächlich gegen Unionsrecht verstoßen. (Schlussanträge v. 05.05.2022, Az. C-120/21)
Weder die Fristen an sich noch ihre Länge seien problematisch – aber der Beginn des Laufs der Frist hingegen schon. Die dürfe nämlich erst beginnen, wenn der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nachgekommen ist. Erst dann könne der Arbeitnehmer überhaupt Kenntnis von seinem Anspruch auf Jahresurlaub erlangen und ihn im Anschluss auch wahrnehmen.
Nach dem deutschen Recht beginnt die Frist, sobald der Anspruchsberechtigte Kenntnis von seinem Anspruch erlangt hat. Eine rein hypothetische Kenntnis des Arbeitnehmers könne dagegen keine Frist auslösen.
Das heißt: Wenn der Arbeitnehmer keine Kenntnis davon hat, könne die Frist nicht beginnen. Zudem müsse der Arbeitnehmer etwa auf den übrigen Urlaub und entsprechende Fristen hingewiesen werden.
Die Antwort des EuGHs wurde gespannt erwartet.
Der EuGH folgte nun den Aussagen seines Generalanwalts: Es sei richtig, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, „nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzieller Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden“. Allerdings sei dieses Interesse nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor nicht in die Lage versetzt habe, den Urlaub tatsächlich wahrzunehmen. Denn dadurch habe er sich selbst in eine Situation gebracht, „in der er mit solchen Anträgen konfrontiert“ werde und überdies „zulasten des Arbeitnehmers Nutzen ziehen könnte“.
Das nationale Verjährungsrecht Deutschlands stehe daher der Arbeitszeitrichtlinie entgegen, wenn dies zum Urlaubsverfall beim nicht aufgeklärten Arbeitnehmer führt.
Der EuGH hat sich mit diesem Urteil entschieden, die Folgen seiner bisherigen Rechtsprechung nicht abzumildern, sondern sogar zu verstärken.
Dieses Konstrukt der von Generalanwalt und nun auch EuGH angenommenen positiven Rechtsfolgenkenntnis zur Auslösung des Verjährungsbeginns ist dogmatisch und mit nationaler Brille fragwürdig. Denn schließlich schützen effektive Verjährungsvorschriften den Rechtsfrieden und dienen tatsächlich der Rechtssicherheit.
Im zu entscheidenden Fall hätte die Steuerfachangestellte dann einen Anspruch auf Abgeltung ihres nicht genutzten Urlaubs.
Corona-Quarantäne und Erholungsurlaub
– Gutschrift des Urlaubs?
Corona, Urlaub und Quarantäne: Wer im Urlaub krank wird, muss sich diese Tage nicht vom Ferienkonto abziehen lassen, wenn er dem Arbeitgeber einen „gelben Schein“ vorlegt. Doch gilt dies auch, wenn eine Behörde einen (gesunden) Arbeitnehmer unter Quarantäne stellt, weil er Kontakt mit einem Corona-Infizierten hatte?
Zu dieser Frage hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet (Beschl. v. 16.08.2022, Az. 9 AZR 76/22(A)).
Der Fall: Corona-Quarantäne ohne Infektion: Urlaub?
Geklagt hat ein Schlosser, der im Oktober 2020 acht Tage Urlaub beantragt hatte – diese wurden ihm auch genehmigt. Doch zwei Tage nach dessen Beginn verfügte die Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne, da er zu einer mit dem Corona-Virus infizierten Person Kontakt hatte. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts zu verlassen und Besuch von haushaltsfremden Personen zu empfangen. Daraufhin wollte der Kläger sich die kostbaren Tage wieder gutschreiben lassen, doch stattdessen belastete die Beklagte das Urlaubskonto des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt. Woraufhin er schließlich vor Gericht zog, mit der Begründung, ihm sei es nicht möglich gewesen seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten.
Während das Arbeitsgericht (ArbG) Hagen ihm den Wunsch abschlug, stellte sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm auf seine Seite: Die Quarantäne-Zeit sei nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen und zu einem späteren Zeitpunkt nachzugewähren, da der Gesetzgeber eine planwidrige, nicht gewollte Regelungslücke gelassen habe. Angewandt auf den Fall wurde dabei § 9 BUrlG analog, der die Anrechnung einer ärztlich bescheinigten Krankheitszeit auf den Urlaubsanspruch untersagt.
Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar.
Hinweis: Das BUrlG sieht vor, dass Urlaubstage nur bei einer ärztlichen Krankschreibung gutgeschrieben werden dürfen. Eine gesetzliche Regelung für die Corona-Quarantäne gibt es bislang nicht.
Fazit: Nachgewährung mit EU-Recht vereinbar?
Das LAG Hamm war der Auffassung des Arbeitnehmers gefolgt und gab der Klage – entgegen der Vorinstanz – statt (Az. Urt. v. 27.01.2022, 5 Sa 1030/21).
Die Arbeitgeberin legte daraufhin Revision ein, die Entscheidung des BAG steht weiterhin aus. Entscheidungserheblich ist es zunächst, ob die Anrechnung von Quarantäne-Zeit auf Urlaubstage mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU im Einklang steht. Nach nationalem Recht sei der Urlaub nicht nachzugewähren, wenn vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub sich mit einer angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschreitet und der betroffene Arbeitnehmer selbst nicht krank war.
Autor dieses Beitrags:
RA Christian Michels
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