Wirksame Kündigung auch bei fehlender/fehlerhaften Massenentlassungsanzeige? 

Welche Konsequenzen drohen, wenn sie unterbleibt oder fehlerhaft abgegeben wird? Diese Fragen sind brandaktuell und aufgrund jüngster EuGH- und nationaler höchstrichterlicher Rechtsprechung derzeit im Wandel. 

Auf eine Anfrage des Sechsten Senats des BAG (Beschluss vom 27.01.2022, Az. 6 AZR 155/21) entschied der EuGH am 13.07.2023 (Rs. C-134-22), dass die Verpflichtung zur Massenentlassungsanzeige nicht dem Individualschutz der betroffenen Arbeitnehmer dient. Die in der Massenentlassungs-Richtlinie 98/59/EG (MERL) vorgesehene Übermittlung von Informationen an die zuständige Behörde diene nur zu Informations- und Vorbereitungszwecken, um es der Behörde zu ermöglichen, in effizienter Weise nach Lösungen für die dadurch entstehenden Probleme zu suchen. 

Hintergrund:  

Gemäß § 17 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) sind Arbeitgeber verpflichtet, die Agentur für Arbeit zu informieren, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb eines bestimmten Zeitraums entlassen möchten, um Arbeitsförderungsmaßnahmen vorzubereiten.  

Das BAG nahm in seiner bisherigen Rechtsprechung an, dass eine fehlende oder fehlerhafte Massenentlassungsanzeige wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot zur Unwirksamkeit aller ausgesprochenen Kündigungen führt (§ 134 BGB). 

Dieses Sanktionenregime stand beim Sechsten Senat in einem Revisionsverfahren erneut auf dem Prüfstand: In einem Fall unterblieb die Massenentlassungsanzeige ganz, da der Insolvenzschuldner die nach § 17 Abs. 1 KSchG maßgebliche Betriebsgröße als nicht erreicht ansah (6 AZR 157/22). Dieses Verfahren wurde nun jedoch ausgesetzt, da dem Sechsten Senat Zweifel kamen, ob das bisher von der Rechtsprechung begründete Ergebnis möglicherweise unverhältnismäßig sei und nicht im Einklang mit der Systematik des Massenentlassungsschutzes aus der MERL stehen könnte. 

Konsequenz: Angekündigter Kurswechsel des BAG 

Der Sechste Senat des BAG möchte seine Rechtsprechung ändern und argumentiert, dass Fehler oder das Fehlen einer Massenentlassungsanzeige keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Kündigungen haben sollten, da dies die unternehmerische Freiheit unverhältnismäßig einschränkt. Dies widerspricht allerdings der bisherigen Ansicht des Zweiten Senats, wonach eine solche Kündigung nach § 134 BGB nichtig ist. Um diesen Widerspruch zu klären, stellte der Sechste Senat eine Divergenzanfrage an den Zweiten Senat. 

Nun möchte der Zweite Senat die Frage der Unwirksamkeit bei fehlender Anzeige durch den EuGH klären lassen (BAG, Beschluss vom 01.02.2024 – 2 AS 22/23 (A)). 

Aber auch der Sechste Senat fragte kürzlich den EuGH (BAG, Beschluss vom 23.05.2024 – 6 AZR 152/22 (A)), ob eine Kündigung bei einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige dennoch unwirksam ist, gleichwohl die zuständige Agentur für Arbeit die Anzeige nicht beanstandet hat (dies ist bisher der Fall). 

Fazit: Abwarten. 

Die mögliche Rechtsprechungsänderung des BAG könnte das Massenentlassungsverfahren für Arbeitgeber erleichtern, da formale Fehler nicht mehr zwingend zur Unwirksamkeit von Kündigungen führen würden. Die endgültige Entscheidung des EuGH bzgl. der Auslegungsfrage der MERL bleibt abzuwarten, um Klarheit zu schaffen und die zukünftige Praxis zu gestalten. 

 

Autor dieses Beitrags:

RA Christian Michels

Anwalt Arbeitsrecht

 

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